Mehr Beteiligung

Schon das SGB VIII und die UN-Kinderrechtskonvention wandten sich ab von einem bevormundenden pädagogischen Umgang in Familien und Einrichtungen. Die Gesetzesnovelle unterstreicht nochmals das Recht auf Partizipation und Teilhabe des jungen Menschen an den für ihn wichtigen Belangen und Entscheidungen. Für die Fachdienste der Jugendämter, die Hilfen zur Erziehung und die Eingliederungshilfe bedeutet dies, dass die Einbeziehung der Kinder und Jugendlichen in die konkrete Planung und Ausgestaltung der Hilfe umgesetzt sowie Wille und Ziele der jungen Menschen sowie ihrer Familienmitglieder berücksichtigt werden müssen.

Doch nicht nur juristische Gründe sprechen für diesen Anspruch: Menschen schätzen etwas mehr, wenn sie sich selbst damit identifizieren können. Das Verantwortlichkeitsgefühl steigt, wenn Menschen im Hilfeverlauf aktiv einbezogen und ihr Willen, ihre Ziele, Bedürfnisse und Wünsche berücksichtigt werden. Fazit: Die aktive Beteiligung von Kindern und Jugendlichen und ihren Familienmitgliedern erhöht die Wirksamkeit der Hilfe.

Das KJSG schreibt vor, dass Betriebserlaubnisse für Einrichtungen nur auf der Grundlage von Konzepten vergeben werden, die konkrete Verfahren von Beteiligung und Beschwerde enthalten. Auch wird die Einrichtung von Ombudschaften verpflichtend festgelegt.

Die Angebote der Hilfen zur Erziehung und der Eingliederungshilfe stehen vor enormen strukturellen Herausforderungen bei der praktischen Umsetzung von partizipativen Konzepten. Denn Beteiligung ist mehr als die Wahl der Wandfarbe – Bewohner/innen von Wohngruppen können auch an Bewerbungsverfahren beteiligt werden. Es braucht klare Vereinbarungen, die regeln, wie weit das Recht auf Mitbestimmung geht und wie Entscheidungen gefällt werden. Es braucht niedrigschwellige und transparente Verfahren, um die Beteiligung der jungen Menschen und ihrer Familien zu ermöglichen. Partizipationsmodelle sollten schnelle und reale Entscheidungen bieten, attraktiv sein, an der Lebenswelt anknüpfen und zu den individuellen Kompetenzen passen.

Zwar sind entsprechende konzeptionelle Verankerungen mittlerweile in fast jeder Einrichtung vorhanden, jedoch steht bereits die Notwendigkeit von Dienstplänen und Sicherheitsvorschriften häufig im Widerspruch zu einer gelebten Partizipationskultur. Die Form, die Kinder und Jugendliche für ihre Beschwerden wählen, und die Konsequenzen, die diese in den Einrichtungen oder bei den Jugendämtern haben, überfordern oft die Möglichkeiten der Hilfesysteme.

Um ein Mehr an Beteiligung erfolgreich umzusetzen, brauchen Fachkräfte eine klare partizipative Haltung und sollten Kinder und Jugendliche als Experten/-innen der eigenen Lebenswelt anerkennen. Ihre Beteiligung muss gewollt, beschlossen und vor allem mit Leben gefüllt werden. Damit das gelingt, müssen Fachkräfte jungen Menschen und ihren Fähigkeiten vertrauen, sie müssen etwas von ihrer Macht abgeben und die jungen Menschen dabei unterstützen, Partizipation zu erlernen und zu trainieren. Neben Kenntnissen über inhaltliche und rechtliche Rahmenbedingungen ist auch eine entsprechende Methodenkompetenz nötig. Organisationsentwicklungsprozesse müssen insbesondere von Führungskräften initiiert und fachlich vorbereitet und begleitet werden, dabei müssen klar definierte Faktoren des Gelingens von Partizipationsmodellen bekannt sein, um einen auf die eigene Arbeit übertragbaren Orientierungsrahmen zu haben.

In den Fortbildungen für die Fach- und Führungskräfte der Jugendämter, der Hilfen zur Erziehung und der Eingliederungshilfe wird eine partizipative Grundhaltung gestärkt und konkrete Handlungsmöglichkeiten werden aufgezeigt, um mit Leitungskräften Strategien für die Etablierung von „Mehr Beteiligung“ in ihren Diensten und Einrichtungen zu erarbeiten. 

Ein Fokus liegt im diesjährigen Programm auf der Etablierung einer partizipativen Alltagskultur in der (teil-)stationären Kinder- und Jugendhilfe, ein anderer darauf, die Partizipation in ambulanten Settings und Beratungssituationen zu stärken. Um hier den Weg in die praktische Umsetzung zu finden, werden impulsgebende Seminare sowie eine prozessbegleitende Seminarreihe inclusive Coachings angeboten. Weiterhin werden Familien in Zusammenhang mit (Verdacht auf) Kindeswohlgefährdung in den Blick genommen.